WICHTIG! EXTRA WICHTIG!

Inzwischen ist der Guide Michelin 2013 Deutschland herausgekommen. Wie seit Jahren üblich, hat sich die Zahl der besternten Häuser in Deutschland vermehrt, einschließlich einer Formel-1 Adresse in Travemünde („La Belle Epoque“, drei Sterne im Hotel Columbia). Da ich noch nie in Travemünde war, habe ich also hoffentlich noch eine ersprießliche Reise vor mir.

Vielen Deutschen wird es nicht anders gehen. Doch im Gegensatz zu mir machen sie daraus keine Eilmeldung. Sie registrieren den neuen Triumph unserer Spitzengastronomie nicht einmal. Denn sie haben andere Sorgen.

Viele machen sich offenbar Gedanken darüber, wie sie ihre

Gören nicht eine Sekunde aus den Augen lassen und ihnen das Herumkrabbeln unter ihresgleichen in der Kita verweigern und trotzdem Geld dafür kassieren können.

Auch wenn das keine Sorgen sind, so ist ein Mittagessen im Hirschen in Sulzburg (dessen Köchin einen zweiten Michelinstern erhalten hat) nicht das, was eine deutsche Mutter von ihrer Sorge um die geistige Gesundheit ihrer süßen Kleinen abhalten könnte.

Wahrscheinlich haben die Wahlen in den USA ein größeres Interesse erzeugt als die Verbesserung der Wirsingroulade in deutschen Restaurants.

Ja, das könnte sein. Zum Beispiel die Niederlage der bigotten Provinzler bei den rechten Republikanern, der Evangelikaner und der konservativen Teebeutelauskocher. Die Analysen über die Terroristenfurcht der von der Paranoia heimgesuchten Antikommunisten, über waffenstarrende Familienväter, kahlgeschorene Militärs, die sich, wo immer sie hingeschickt werden, als patriotische Folterknechte entpuppen und nichts als Elend über die Menschheit bringen, und wie viele andere Reaktionäre die Wahl verloren haben. Zu ihnen gehören nicht zuletzt die Verächter europäischen Raffinements.

Wer jetzt denkt, endlich kommt der Kerl auf Foie gras zu sprechen und die Köstlichkeit einer mit Trüffeln gespickten Poularde, der überschätzt die Wirkung des Guide Michelin gewaltig.

Zum Beispiel bedeuten unsere 620 Bundestagsabgeordneten nicht nur zahlenmäßig mehr als 10 Dreisternadres­sen, sie haben auch einen größeren Einfluss auf die Art, wie wir essen. Sie beteiligen sich an den hanebüchenen Kungeleien zwischen Nahrungsmittelproduzenten und Regierung, die dafür sorgen, dass beide Seiten keine Verluste erleiden,

weder durch Umweltschutz noch durch Sorge um die Volksgesundheit.

Zur gleichen Zeit werden wir Konsumenten daran gewöhnt, uns immer einseitiger mit diesem unappetitlicher Kunstfraß zu ernähren, den die Produzenten schnäppchenweise in die Supermärkte schaufeln.

620 kleine, aber ziemlich emsige Haustiere erlauben wir uns in Berlin, wo sie unser Land der Betonindustrie zum Fraß vorwerfen, welche dieses Land erbarmungslos asphaltiert, damit immer mehr Pendler die Straßen verstopfen, wofür wir ihnen eine Pauschale zahlen dürfen.

Auf die 620 Rentenberechtigten in Berlin trifft das knappe Verdikt des Michelins, dass sie einen Umweg lohnen, natürlich nicht zu. (Berlin hat immer noch keinen Koch mit drei Sternen) Nicht einmal die sorgfältige Arbeit, die der Michelin den Kleinrestaurants durch einen Bib bescheinigt, ist in Berlin auf Anhieb zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen muss man feststellen, dass dort die Böcke zu Gärtnern gemacht werden, und umgekehrt. So hat es die SPD doch tatsächlich gewagt, als Kandidaten einen Mann aufzustellen, der hochintelligent und intellektuell ist, präzise denken und furchtlos formulieren kann, einen Mann, dessen Wissen so geschätzt ist, dass er mit Vorträgen Millionen verdient, sie versteuert und auch darüber redet, mithin einen völlig undeutschen, unbequemen und nicht angepassten Menschen als nächsten Kanzler empfiehlt. So einer wurde früher auf der Straße erschossen und wird heute von den Dumpfbacken nie und nimmer als Kanzler akzeptiert.

Aber nicht nur die SPD benimmt sich, wie von allen mittelmäßigen Politikern verlassen, die Unionsparteien leisten sich untereinander einen Dauerzank nach dem anderen, der den Mann auf der Straße ebenfalls mehr interessiert als der Zustand unserer Spitzengas­tronomie.

Das hofft jedenfalls die FDP. Sie rennt jeder Fehlzündung hinterher, in der Hoffnung, für ein gewaltiges Echo gehalten zu werden. Nur wenn es um rechtsradikale Aktivitäten geht, schleicht sie sich von der Bühne und hofft, nicht gesehen zu werden. Was nicht so einfach ist. Denn die ersten Geier schweben schon über ihr.

Möglich ist auch, dass die Feinschmecker Deutschlands von der Nachricht abgelenkt werden, dass Christian Jürgens von der „Überfahrt“ (2 Stern) in Rottach-Egern vom Gault/Millau zum Koch des Jahres gewählt wurde Und zwar, so wurde ausdrücklich vermerkt, weil er zwischen Kieselimitationen aus Kartoffelquark echte Kiesel auf die Teller häuft und den Bachsaibling auf einem heißem Stein statt einem Teller serviert.

Oh Christian, immer noch die ollen Kamellen von vor zwei Jahren? Der Gag mit den erhitzten Steinen war schon nicht witzig, als andere Kollegen vor Dir damit auftraten und sollte Dir inzwischen so zum Hals raushängen wie mir.

Koch vernünftig, aber ohne Schaueffekte. Sonst wartest Du noch lange auf Deinen dritten Stern.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Michael Fass |

    Lieber Herr Siebeck,

    einfach perfekt – aus dem Herz geschrieben. Bleiben Sie politisch, bei einem perfekten Essen darüber zu reden macht richtig Freude.

  2. Klaus K. |

    Herr Siebeck, „hochintelligent und intellektuell“, solche Eigenschaften waren in der Politik immer selten. Solche Wesen in diesem heutigen Intrigensumpf ständen unter Artenschutz. Steinbrück war im Aufsichtsgremium jener nicht privaten Bank, die aus dem Finanzdesaster mit größtem Schaden hervorging. Im Bundestag verlas er damals eine Rede, darin bezeichnete er die beginnende Finanzkrise als rein inneramerikanische Angelegenhet. „Mit Vorträgen Millionen verdient“, ich weiß, Stadtwerke, man kennt sich nicht wahr, wir Steuerzahler haben diesen Schaden zu tragen. Wenn der Karl Schiller nur den Namen der von ihnen genannten Person hört rotiert er, diese Signale gehen wohl nicht soweit ins südliche Germanien zu ihnen.
    Was war der Zweck der Bemerkung, möchten sie über Genossenfilz in Aufsichtsgremien im höheren Alter noch eine Kochstelle im Fernsehen erheischen.
    Jedem 3*Koch gelingt nicht alles, jeder haut einmal daneben, bleiben sie Rumpelstilzchen. Ich habe die Art, den Witz, die Kenntnisse ihrer Beiträge immer mit großem Interesse gelesen und wünsche ihnen, daß sie noch lange können.

  3. Oliver M.T. zock |

    ….also mich hat mein letzter Besuch bei Christian Jürgens eher enttäuscht, auch als ich ihn nach dem Essen für eine kurze Konversation an den Tisch bat und mir ein pampiges und überhebliches Statement anhören musste, abgesehen von eher dürftigen geschmacklichen Erfahrungen. Nach wie vor keinerlei Vergleich vom Niveau her und meilenweit von Heinz Winkler, dem nächsten kulinarischen Nachbarn in Aschau entfernt. Da ziehe ich den Italiener in der „Überfahrt“ in jedem Falle vor …..

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