OH DU KÜRBIS

Was löst alljährlich die Große Depression aus? Die in diesen Tagen zu Boden fallenden bunten Blätter der Laubbäume? Ja, sie erinnern uns daran, dass das Versprechen eines ständigen Wachstums von der Natur nicht eingehalten wurde. Sodann zitiert die SZ sehnsüchtig einen Tag vor fünfundzwanzig Jahren, als Handke sich mit einem Kritiker der FAZ in die Wolle kriegte. Es war ein Sommertag im Süden, und zu welchen Reflexionen er die SZ auch verführte, der literarische Diskurs ging eindeutig auf das Konto der Jahres­zeit. Wie alle Schmarotzer sind Dichter Melancholiker und somit eine leichte Beute für die November-Depression.

Geradezu klassisch passten Strauß und die Spiegel-Affaire in das Bild vom herbstlichen Blättersturz und erstem Schnee. Wie jetzt wieder. Denn erneut versucht ein bayerischer Ministerpräsident den Medien das Maul zu stopfen, wieder vergeblich; und wieder regt sich im Zeitungsleser die Ahnung, dass unter den bunten Blättern nicht nur doofe Eichhörnchen nach vergrabenen Nüssen suchen, sondern auch die Wahrheit im Eichhörnchenreich vor sich hin modert.

Und was hat das, Herr Siebeck, mit dem Kulinarischen zu tun?

Es ist die Jahreszeit, Dummkopf.

Ein Gang über den Markt enthüllt die Zukunft. Aus den Kofferradios der Händler klingeln die Hymnen des Weihnachtskitsches: „Jinglbell“; „I’m dreaming of a white Christmas“ und dergleichen in Töne ausgebackene Zuckerwatte. Doch dann ist es das Auge, das den Großalarm auslöst: die Kürbisse. Bis zum Horizont reicht ihre orangefarbige Flut. Groß, größer, am dämlichsten liegen sie da und wollen in eine dämliche Kürbissuppe verwandelt werden.

Dieser Bitte kann keine Hausfrau und kein Wirt widerstehen. Von der Eckkneipe bis zum Gourmetrestaurant steht sie auf allen Speisekarten, die Kürbissuppe. In den Familien gilt sie als Höhepunkt (HIGHLIGHT) der Vorweihnachtszeit.

Vor Jahren haben Spürnasen entdeckt (ich gehörte dazu), dass dieser fade Pamp in der deutschen Küche unbekannt war und haben ihrer Umgebung geraten, die pulpöse Suppe ins Sonntagsessen einzubauen. Was kinderleicht ist und deshalb weitgehend befolgt wurde, so dass die Winterküche seitdem damit belastet ist wie die Sommerküche mit Salat.

Natürlich gehört auch der Gänsebraten zu den Menetekeln der Weihnachtszeit. Aber da sogar ein Kochkünstler wie der Berliner Tim Raue die Gans ablehnt, weil sie zu trocken ist und stattdessen auf Rillette von der Gans ausweicht, (welches man als Konserve kaufen kann, wovon ich jedoch abrate; auch selber machen ist schwierig. Also in Strasbourg beim besten Metzger kaufen), beobachte ich die Gänsebrater mit der gleichen Schadenfreude wie die Eichhörnchen im Laub.

Was immer noch nicht meinen Widerwillen gegen den Kürbis erklärt. So dekorativ er sich auf Fensterbänken zur Schau stellt, so langweilig ist er auf dem Teller. Egal, ob als Gemüse oder als Suppe gegessen, er hat keinen Charakter, kein Profil. Verglichen mit ihm ist Blumenkohl eine Aromabombe.

Fragen Sie nicht, warum ich das nicht gemerkt habe, als ich damals die sämige Pampe mit Feta Käse und Kürbiskernöl zu ‚veredeln‘ versuchte! (Und kommen Sie mir nicht mit eigenen Vorschlägen, wie man eine Kürbissuppe in eine Delikatesse verwandelt.)

Die unvermeidliche Begegnung mit dem Kürbis gehört zu den Ursachen des Winter Blues, der sich in diesen Tagen über Stadt und Land ausbreitet. Man muss schon ein doofes Eichhörnchen sein, um das alles mit Gleichmut zu überstehen.

Deshalb wird Frau Merkel so bewundert.

8 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Thea |

    Und deshalb kommentiere ich Einladungen während der Kürbissaison so: „Ich komme nur, wenn man mich nicht zwingt, Kürbis egal in welcher Form zu mir nehmen zu müssen.“
    Es/er ist die Pest!

  2. Chiton |

    Eigentlich ist in der Vorweihnachtszeit der Kürbis schon nicht mehr top. Hauptzeit sind der September und Oktober. Dann ist eigentlich Schluß. Wir haben am Wochenende mit einem Butternutkürbis – nicht als Suppe, sondern als im Ofen gedämpfte Rechtecke – sehr gute Erfahrungen gemacht.

  3. Jeeves |

    Endlich mal einer, der die Wahrheit ausspricht. Ist doch gar nicht so schwer. Wenn’s auch nur um „Kürbis“ geht.
    Mein Opa selig, geboren irgendwann um 1880 auf’m Dorf weit im Osten, als der seine letzten Tage und Monate bei uns in Westberlin wohnte, in den frühen Sixties, meinte, als er mal Ananas (aus der Dose) zum Dessert bekam: „Der Kürbis schmeckt aber komisch.“ Dies modische Zeugs (Ananas) kannte und mochte er gar nicht. Ihm stand der Sinn nach Kürbis (er war auch sonst recht schlichter Natur, der gute Mann).

  4. multikulinaria |

    Akzeptabel aber zum Glück nicht repräsentabel 😉
    Ich für meinen Teil mag Kürbis (einige Sorten; gut gewürzt) sehr gern.

  5. Jeeves |

    Und Zierkürbisse sind die neuen Gartenzwerge.

  6. Peter |

    Na, da hat der Herr Siebeck wohl die ganzen schönen Kürbisrezepte vergessen, die er im Lauf der Jahre so publiziert hat…

    Und @Jeeves: Ihr Großvater muss Ihnen ja Schlimmes getan haben, wenn sie öffentlich so herablassend über ihn sprechen. Oder sollte das etwa witzig sein?

    • Jeeves |

      Witzig? Nee, launig.
      Im übrigen ist es die reine Wahrheit. Er war ein „einfacher“ Mann und im Alter zum Teil sogar unerträglich. Und er stank. Aber das führt jetzt zu weit…

      • Peter |

        Das mit dem launig üben Sie mal besser noch ein bisschen. Selbst die vermeintlich „reine Wahrheit“ gehört für einen taktvollen Menschen nicht immer in die Öffentlichkeit. Aber was Hänschen nicht lernt…

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