EINE MASS IST EINE MASS IST EINE MASS

So wie es für den Feinschmecker nur ein Thema gibt, über das sich immer auf neue reden und diskutieren lässt – gemeint ist die Verwendung von minderwertigen und unverträglichen Zutaten im Essen der Gasthäuser, Kantinen und Supermärkte, und nicht der Firlefanz der überzüchteten Superküche, welche als kulinarische Avantgarde bezeichnet wird und schon lange keine Schlagzeilen mehr bewirkt – so gibt es auch in der Landespolitik nur ein Stichwort, bei dem es dem interessierten Zeitgenossen kalt den Rücken runterläuft. Das Stichwort heißt CSU.

Während die anderen Parteien – alle anderen Parteien – von der früher als Schönheitsschlaf bezeichneten Mittagsohnmacht befallen sind, ohne dass sie dadurch im geringsten schöner würden, bringt es der konservative bayerische Haufen immer wieder fertig, eine Aktivität zu entwickeln, welche typischerweise während des großen Intelligenzspektakels der Bundesrepublik ausbricht.

Damit ist nicht das Münchener Oktoberfest gemeint, obwohl seine Dimensionen durch das Attribut ‚groß‘ gar nicht so falsch beschrieben wären. Es als Intelligenzspektakel zu bezeichnen, würde hingegen nicht einmal der SZ einfallen, die sonst mit News von Wiesnleaks nicht gerade geizt.

Die Kollegen der dortigen Redaktion haben die Frankfurter Buchmesse zum Anlass genommen, einen ganzseitigen Text des Peter ‚Seppelhose‘ Gauweiler über die Eurokrise abzudrucken, welcher dem Autor schlagartig jene Aufmerksamkeit bringen wird, die sonst nur bayerischen Freihandkletterern zuteil wird, wenn sie statt eine Nordwand den Tower der EZ-Bank in Frankfurt erklimmen. Denn er beginnt – und endet – mit einem Zitat von Gertrude Stein.

Nein, nicht Hildegard von Bingen, die Mystikerin, welche am selben Tag vom Papst zur Kirchenlehrerin ernannt wurde, sondern die lesbische, jüdische Intellektuelle, die mit ihrer drei­fachen Rose die Pariser Boheme zur Ekstase brachte. Mithin, ein suspektes Frauenzimmer für einen frommen Bayern. Doch der geht hin und zitiert sie in der größten bayerischen Zeitung.

Meine sehr gehrten Damen und Herren. Anstatt uns zu freuen, dass ein prominentes Mitglied der CSU den Namen Gertrude Stein kennt und so mehr Bildung verrät als die Agrarministerin Aigner, die nicht jüdisch und nicht intellektuell ist und soeben ihre Bauern verlassen hat wie ein anderer Bayer seine Soldaten, anstatt also Pisa auch in Bayern zum Erfolg werden zu lassen, lesen Sie an dieser Stelle eine ellenlange Einleitung zum – wie Sie zu ahnen beginnen – Dauerthema „Folklore in Oberbayern“.

Also machen Sie sich bereit, zum hundertsten Mal eine Klage über die Agrarministerin Aigner zu lesen, von der berichtet wird, dass sie ihre Klientel – die Großmästereien, die Agrarkonzerne und die Düngemittelchemie – verlassen wird, um eventuell Herrn Seehofer als bayerischer Ministerpräsidenten abzulösen. Ob der Schaden, den sie dann anrichten wird, größer sein wird als in der Landwirtschaft oder viel größer, ist noch nicht sicher.

Glücklicherweise ist überhaupt nicht sicher, dass die nächste Bayerische Regierung wieder von der CSU gestellt wird.

Mit dieser halbherzig geäußerten Hoffnung leite ich freudig über zu der ersten positiven Nachricht, die aus München zu hören ist. Dass sie die Gastronomie betrifft, macht sie doppelt wertvoll und willkommen:
Das „Tantris“, Deutschlands erstes Feinschmeckerrestaurant, diese Wiege unseres Gastronomiewunders, die ebenso gemütliche wie formal anspruchsvolle Kulisse für verwöhnte Ästheten, ist unter Denkmalschutz gestellt wurden!

Nicht der Nockerlberg, nicht der Franziskaner und nicht die Arena des FC Bayern, sondern das Tantris des Fritz Eichbau­ers!

Vierzig Jahre existiert die Pilgerstätte in Schwabing bereits und hat in dieser Zeit hintereiander drei geniale Küchenchefs (Witzigmann, Winkler, Haas) hervorgebracht, sowie unzählbare hochtalentierte Sous Chefs, was man nicht einmal von der CSU sagen kann. (Abgesehen vom erwähnten Sepplhosenträger, welcher wusste, wer Gertrude Stein war.)
Für alle, die Näheres über die gewichtige Madame Stein erfahren möchte, über ihre Vorlieben für Alice, Picasso, Frankreich und seine Gastronomie, empfehle ich hier ein Buch, durch dessen Lektüre Sie gebildeter, hungriger und neugieriger für alles Kulinarische werden, als beim Studium der neuesten Wiesnleaks. („Das Alice B. Toklas Kochbuch“, Byblos Verlag Berlin.)

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Charles Milton Ling |

    Wieder einmal: Ich ziehe dankbar meinen Hut. Sie leben, scheint mir, in diesem Weblog auf. Tut das Ihnen so gut, wie mir, dann bin ich sehr froh.

  2. MonsieurCB |

    Ich hoffe ja nur, dass all die geistreichen Beiträge in diesem Blog
    auch in irgendeiner Form schriftlich einem größeren Leserkreis
    zugänglich gemacht werden … ? Weiter so, Meister Siebeck!

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