Gedanken aus der Provence…

Lieber Barbarei als Überdruss!, rief Theophil Gaulthier mutig in die Salons. Nicht nur mutig, sondern auch unüberlegt. Denn vom Überdruss gepackt, kann man sich schlimmstenfalls selber umbringen. Die Barbarei hingegen sorgt dafür, dass einen die anderen umbringen.

Im Sudan ist eine weiße Lehrerin zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt worden, weil sie einen Teddybären Muhamed genannt hat. Daraufhin rotteten sich in den Straßen tausende Fundamentalisten zusammen und forderten für die Frau die Todesstrafe.

Wenn bei uns ein Gastrokritiker die Gänseleberterrine eines Feinschmecker-Restaurants lobend er­wähnt, rotten sich demonstrierende Tierschützer zusammen und verlangen die Schließung des Lokals, woraus man auf eine Verwandtschaft der Gänse mit den Teddybären schließen kann.

Um ihre Produkte an den Mann zu bringen, scheuen deutsche Unternehmen keine Anstrengung. Besonders die heimische Weinwirtschaft – so mein Eindruck – beweist mit ihrer Selbstdarstellung eine Leistungsfähigkeit, die unsere Exporterfolge erklärt. Kann aber auch sein, dass Winzer mir öfter einen Werbebrief schreiben als Waschpulverfabrikanten. Ein Weingut, „das den Stil einer Südstaaten Hazienda mit deut­scher Moderne geschickt vereint“, empfiehlt mir per e-mail seinen rosa Winzersekt.

Es heißt zwar unter e-mail Nutzern, dass man Briefe, deren Absender einem nicht bekannt sind, auf keinen Fall öffnen, sondern sofort löschen soll, weil so ein Brief einen Wurm enthalten könnte.

Ich habe schon Briefe bekommen, da lagen vierblätterige Kleeblät­ter drin oder Fotos von kleinen Kindern, die nicht mit mir verwandt waren. Einmal schickte mir ein Leser das Foto eines schwarzen Katers, den er mir als Partner für Frau Hoffmann empfahl. Da ich nicht wusste, ob er (der Kater) einen Wurm hatte, habe ich ihn Frau Hoffmann erst gar nicht gezeigt. Außerdem war sie längst sterilisiert.

Weingüter sind generell ein Segen für die Menschheit, deshalb habe ich den Brief geöffnet und bin gleich am oben zitierten Satz hängen geblieben. Wie sieht die Vereinigung einer Südstaaten Hazienda mit deutscher Moderne aus? Was produziert die Hazienda? Zuckerrohr, Kampfstiere? Und was versteht man unter deutscher Moderne? Eine zerstrittene Koalition? Wie kommt dabei der rosa Sekt zustande? Wir haben schon einmal eine Vereinigung gehabt. Was dabei herauskam, war der Rotkäppchensekt. Grund genug, allem zu misstrauen, was rot ist: es könnte ein Wurm drin sein.

Schmetterlingen wird eine außergewöhnliche Kraft zugeschrieben. Flattert so einer in Mexiko über ein Blumenbeet, (so die Theorie vieler Wissenschaftler), gibt es am anderen Ende der Erde ein Erdbeben.

Am anderen Ende der Erde wohnen die Antipoden. Früher, als die Menschen sich noch nicht daran gewöhnt hatten, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern eine Kugel, haben sie geglaubt, die Antipoden liefen auf den Händen. Schade, dass sie nicht Recht hatten. Die Zunft der Taschendiebe hätte eine völlig andere Entwicklung genommen; denn sie hätten keine Hände frei gehabt, um den Leuten in die Taschen zu greifen, andererseits nur aufheben müs­sen, was anderen aus den Taschen fiel.

Was gehen uns die Taschendiebe am anderen Ende der Welt an?, frage ich mich. Wenn es wenigstens Köche wären, die da auf den Händen laufen. Über einen habe ich in der SZ gelesen, dass er sich sein Lieblingsgemüse hat auf die Füße tätowieren lassen. Dabei will er gar nicht zu den Antipoden auswandern. Er findet seine tätowierten Füße einfach schön. Dummer­weise hat er sie fotografieren lassen, so dass die Leser der SZ erkennen konnte, was für ungepflegte, ekelhafte Füße der Typ hat.

Wer denkt beim Anblick der eingerissenen Zehennägel nicht automatisch an die Hände des Schmuddelkindes, mit denen bekanntlich jedes Salatblatt auf den Tellern, jedes Radieschen und jedes Stück Fischfilet ausgerichtet wird? Außerdem wird sich zwischendurch mal schnell der Kopf gekratzt und in der Nase gebohrt. Handarbeit ist nicht nur beim Kochen unvermeidlich. Aber in der Küche, wo sie unverzichtbar ist, ist sie aus hygienischer Sicht katastrophaler als im Schneideratelier.

Jetzt ist wieder eine sensationelle These im Umlauf. Ich meine den 21. Dezember 2012. Dann geht bekanntlich die Welt unter, weil es den Mayas nicht gelungen ist, ihren sonderbaren Knotenkalender ordnungsgemäß fortzusetzen. Um aber nicht einen ausgestorbe­nen Indianerstamm für den Weltuntergang verantwortlich zu machen, hat man es der Sonne und ihren fehlerhaften Protuberanzen in die Schuhe geschoben.

Ähnlich reagiert die Atomlobby auf das Abschalten ihrer Heizstrah­ler. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, drohen sie, sitzt ihr im Dunkeln und fürchtet euch.

 

Was sehen Sie, Herr Siebeck, nach jahrzehntelangen Erfahrungen innerhalb der Gastronomie, als wichtigste Veränderung an?

Diese Frage stellte unlängst eine Kollegin aus Kötschenbroda. Ich beginne zu grübeln: Die Entwicklung der Küche im Sinne der Moderne? Die technische Fortschritt in Hotelzimmern mit den tol­len Bädern und der ganzen Online-Zauberei? Oder der Personal­man­gel beim Empfang und im Restaurant? Sapperlot, es hat sich so wahnsinnig viel verändert, dass ich nicht weiß, wo anfangen:  Die Freude an blutigem Grillfleisch, Vegetarismus, Boykott der Massenpro­duktionen, Bioprodu­kte, Öko-Siegel, Hausschlachtung, techni­sche Perfektion der Kö­che, der Aufstieg der Patisserie zur Kunst­form, das große Angebot deutscher Weine, das Verschwin­den schäbiger Gläser, die zuneh­men­­de Küchenerfahrung der Gäste, die vernünftige Preisgestaltung auch in der Top-Gastronomie, der Einfluß asiatischer Aromen, das konservative Angebot auf den Speisekarten, die affirmativen Ten­denzen in der Gastronomiekritik, das Aufkommen neuer Schlagworte wie Molekular und Vegan, all dieses und noch mehr hat die Jugendherbergsmentalität unserer Wirte verändert.

Von der preußischen Bescheidenheit zum weltstädtischen Anspruch war ein langer Weg, der im letzten halben Jahrhundert praktisch neu gepflastert werden musste. Viele blieben dabei auf der Strecke, deren Vorstellung von Gastlichkeit mit den neuen Zeiten nicht mithalten konnte. Ob das im einzelnen zu bedauern war, oder ob nicht gerade darin der kulinarische Fortschritt be­steht, ist Ansichtssache.

Wie ich die Sache sehe, sorgt eine ähnliche, fast versteckte Ent­wicklung für den entscheidensten Einschnitt in die Lebens­qualität unserer Zeit. Damit meine ich den Wegfall des genussvollen Mit­tagessens.

Ich will hier nicht die beklagenswerten Umstände erneut beschrei­ben, unter denen Millionen Menschen Tag für Tag die Hauptmahl­zeit des Tages verbringen. Es ist das Zerrbild einer Mahlzeit; das Gegenteil von Esskultur. Zu besichtigen in unseren Großstäd­ten, wo Restaurants mittags geschlossen sind, weil sich der Geld ver­dienende Teil der Bevölkerung in eine Lebensart gefügt hat, die früher der Unterschicht vorbehalten war. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil entdecke ich auch in den Kleinstädten und auf dem Land immer häufiger, dass Gasthäuser von Rang unter der neurotischen Hast des modernen Menschen leiden. Gut gegessen wird nur noch abends, bei Kerzenlicht, da nehmen sie sich Zeit, die Rastlosen.

Mittags aber sind sie in ständiger Reichweite ihrer Arbeitgeber, ihre elektronische Fußfessel ist das Smartphone, privater Genuss nicht erlaubt.
Natürlich war früher alles besser. Nicht im Sinne des Wohlstands und der Hygiene, man lebte auch nicht frommer und gerechter. Aber im Leben des Einzelnen gab es Nischen, in denen er mit Würde leben konnte, jeder nach seinem Geschmack, wie es der im Luxus lebende Preußenkönig eindrucksvoll auf Französisch formulierte.

Forts. Folgt.

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